Drogenpolitik

Drogenpolitik
Dro|gen|po|li|tik, die:
Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen, die der Bekämpfung des Drogenhandels u. der Arbeit mit Menschen, die durch Drogenmissbrauch u. -abhängigkeit Probleme mit sich u. ihrer Umwelt haben, dienen.

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Drogenpolitik,
 
politischer Bereich, der den Rahmen für viele Maßnahmen der Suchtkrankenhilfe und für die Suchtmittelbekämpfung setzt. Die Drogenpolitik begegnet dem jeweiligen nationalen Ausmaß der Drogenproblematik mit verschiedenen Strategien, die der deutsche Kriminologe A. Kreutzer 1979 in drei Grundstrategien einteilte: 1) Die antiprohibitive Strategie (englisch liberal approach) lehnt repressives Vorgehen gegen die Nachfrage- und meist auch die Angebotsseite (gemeint sind Kleinhändler, nicht die organisierte Kriminalität) ab. Sie bedient sich u. a. der Mittel der Entkriminalisierung der Konsumenten, der Abgabe oder Verschreibung von Drogenersatzmitteln (Substitutionstherapie). 2) Die sozialpolitische Strategie (englisch social approach) richtet sich primär an die Nachfrageseite (Endverbraucher, Opfer). Sie umfasst sozialpädagogische, therapeutische und jugendhilferechtliche Maßnahmen. Träger dieser Maßnahmen sind z. B. in Deutschland die Gesundheits-, Sozial- und Jugendbehörden, Wohlfahrtsverbände, Selbsthilfegruppen u. a. private Zusammenschlüsse, z. B. Elterninitiativen. 3) Die kriminalpolitische Strategie (englisch legal approach) richtet sich gegen die Nachfrager, v. a. aber gegen die Angebotsseite (Täter). Sie bezieht neben den kriminalpolitischen auch Maßnahmen der Sozialpädagogik, Therapie und Jugendhilfe ein. Träger der Maßnahmen sind die Strafverfolgungsbehörden, teils in Verbindung mit Gesundheits-, Sozial- und Jugendbehörden.
 
In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der überwiegende Teil der westlichen Industrienationen über zwei Jahrzehnte lang auf die repressive Drogenpolitik (in den USA seit 1971 als »war on drugs« bezeichnet) mit ihren vornehmlich prohibitiven Strategien gesetzt. Auch die Bundesrepublik sah den drogenpolitischen Schwerpunkt in der strafrechtlichen Betäubungsmittelkontrolle, deren Entwicklung durch die Reformen des Betäubungsmittelgesetz von 1971, 1981 und 1992 gekennzeichnet waren. Damit hat sich das Drogenstrafrecht von den 1960er-Jahren bis Anfang der 1990er-Jahre beträchtlich verschärft.
 
Der Primat der Repression in der Drogenbekämpfung wurde im Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan vom 13. 6. 1990 festgeschrieben. Doch die erstrebten Ziele der Prohibitionspolitik (general- und spezialpräventive Wirkung der Strafe auf den Konsumenten; generalpräventive Wirkung der Strafe auf die Anbieter; Erschwerung der Zugänglichkeit von Drogen; Signalwirkung: Drogen sind gefährlich!) ließen sich nach einem Vierteljahrhundert Anwendungspraxis nicht erreichen. Anfang der 1990er-Jahre wurde auch in Deutschland immer deutlicher, dass Kosten und Nutzen des Repressionsmodells, an dem die Bundesregierung in Grundzügen bis heute festhält, in keinem Verhältnis mehr zu den Zielen der Prohibitionspolitik stehen.
 
Gegen diese im Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan beschriebene Drogenpolitik steuert seit 1989/90 eine oppositionelle, antiprohibitive Drogenpolitik. Sie plädiert für ein Abrücken von der vom Strafrecht bestimmten Drogenpolitik und sieht die Alternativen in einer pragmatisch und pluralistisch orientierten Drogenarbeit, die in eine Schaden begrenzende Drogenpolitik eingebettet ist, für die auch der selbstbestimmte, kontrollierte Drogengebrauch kein Tabuthema ist. Zu dieser Drogenpolitik gehören u. a.: 1) niederschwellige Hilfen, z. B. Kontaktcafés, Notschlafstellen, Spritzenentsorgung und »Druckräume«. Diese verstehen sich als lebenspraktische Hilfen jenseits von Abstinenzforderungen und haben u. a. die Unterstützung selbstbezogener Ausstiegsprozesse zum Ziel; 2) Substitutionstherapien als gesundheitsstabilisierende und lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen; 3) Ausbau differenzierter Therapieeinrichtungen wie der Kompakttherapie mit integrierter Entgiftung, z. B. Modell »Therapie sofort« in Westfalen; 4) Ermöglichung einer ärztlich kontrollierten Originalverschreibung. Dieser Vorschlag wurde 1993 auf Initiative Hamburgs als Gesetzentwurf »Zur befristeten Erprobung begrenzter und streng kontrollierter Freigabe von Betäubungsmitteln, insbesondere Heroin, an langjährige Drogenabhängige und Schmerzpatienten in Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern« vom Bundesrat beschlossen und an den Bundestag weitergeleitet. Die Bundesregierung sprach sich gegen diesen Modellversuch aus. Hauptargument ist die Befürchtung, dass eine Freigabe die Zahl der Abhängigen vermehren werde. In Großbritannien hingegen wird dieses Modell in Liverpool seit Anfang der 1990er-Jahre aus folgenden Gründen praktiziert: Straffreiheit für Verbrechen ohne Opfer (Selbstschädigung); Reduzierung der Beschaffungskriminalität; Entstigmatisierung; Aufhebung der unhygien. und kriminalisierten Lebensbedingungen; Verbesserung des Gesundheitszustandes trotz Abhängigkeit durch Stoffqualitätskontrolle (keine Beimengungen, gesicherte Reinheit, keine unsterile Applikation); Kontrolle der Drogenqualität und deren Überwachung; Senkung der HIV-Infektionsrate; Reduzierung des Drogenelends bei den Betroffenen und Angehörigen und Teilaustrocknung des Schwarzmarktes und damit Gewinnreduzierung der illegalen Drogenhändler; 5) Entkriminalisierung von Abhängigkeitskranken; hier wird insbesondere auf die so genannten konsumvorbereitenden Maßnahmen (Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenbedarf) abgestellt. Das Betäubungsmittelgesetz (in der Fassung von 1992) ermöglicht durch den § 31 a diese Anwendungspraxis. Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland im Mai 1994 dementsprechende Grenzwerte festgelegt: Straffrei ist in Nordrhein-Westfalen der Besitz von bis zu 0,5 g Heroin, Kokain oder Amphetamin. Diese Entscheidung des Landesjustizministeriums löste eine bundesweite Debatte der Drogenpolitik aus; 6) Freigabe so genannter weicher Drogen (Haschisch). Diese u. a. antiprohibitiven Maßnahmen sollen im Sinne einer Normalisierung der Drogenpolitik die bisherige Kriminalpolitik in eine künftige Gesundheitspolitik überführen. Drogenpolitik ist im föderativen Deutschland Ländersache; der Drogenbeauftragte der Bundesregierung (das Amt wurde im Herbst 1992 eingerichtet) hat keine Weisungsbefugnis. Deutlicher denn je differiert dementsprechend die Drogenpolitik zwischen den CDU/CSU/FDP-geführten und den SPD/Grünen-geführten Bundesländern. Die antiprohibitive Drogenpolitik wird insbesondere von der SPD getragen.
 
 
Drogen u. D., hg. v. S. Scheerer u. a. (1989);
 H. Schmidt-Semisch: D. Zur Entkriminalisierung u. Legalisierung von Heroin (1990);
 
Die narkotisierte Gesellschaft. Neue Wege in der D. u. akzeptierende Drogenarbeit, hg. v. R. Ludwig u. a. (1991);
 
Zw. Legalisierung u. Normalisierung. Ausstiegsszenarien aus der repressiven D., hg. v. J. Neumeyer u. a. (1992);
 
Menschenwürde in der D., bearb. v. I. I. Michels u. a. (1993);
 H. Stöver: Drogenfreigabe. Plädoyer für eine integrative D. (1994);
 B. G. Thamm u. W. Katzung: Drogen - legal - illegal (21994);
 
Der drogenabhängige Patient, hg. v. J. Gölz (1995).

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Dro|gen|po|li|tik, die: Gesamtheit der staatlichen Maßnahmen im Bereich der Drogenarbeit und Drogenbekämpfung: Das Thema Fixerräume offenbart das Dilemma einer D., bei der Recht und Realität immer weiter auseinander klaffen (Woche 19. 12. 97, 33).

Universal-Lexikon. 2012.

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